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Mut, große Ideen und ein außergewöhnliches Gespür für Raum und Material – Gottfried Böhm 1920 – 2021

15. Juni 2021

 

© Maurice Cox
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2010 | Gottfried Böhm
© Maurice Cox

Am 9. Juni 2021 ist Gottfried Böhm in Köln im Alter von 101 Jahren gestorben. Dass er einer der ganz Großen war, ist unumstritten. Dafür braucht es hier keine Auflistung von Preisen, Ehrungen oder Publikationen, denn für ihn spricht vor allem sein ungeheures Schaffen. Böhm war nie ein Mann der großen Worte. Von ihm bleiben nicht Texte und Theorien, die sein Werk beschreiben wollen, sondern die rauen, einzigartigen Formen, die von Mut, großen Ideen und einem außergewöhnlichen Gespür für Raum und Material erzählen.

Geboren wurde Gottfried Böhm am 23. Januar 1921 in Offenbach. Sein Werden und Wirken ist aber so eng mit der Domstadt verbunden, dass viele ihn für einen Kölner halten. Doch erst nach dem Krieg und dem Architekturstudium in München rief ihn der Vater zu seinem ersten Auftrag nach Köln. Eine kleine Kalksteinmadonna hatte die Bomben und Brände unbeschadet überstanden, ihr zu Ehren sollte in den Trümmern der Pfarrkirche St. Kolumba eine kleine Kapelle errichtet werden. Eine Aufgabe, die der große Kirchenbauer Dominikus Böhm gerne seinem Sohn übertrug, den er schon lange – vielleicht schon immer – als seinen Nachfolger betrachtet hatte. Eine Auszeichnung natürlich, aber eine ebensolche Bürde, was wenn er dem Anspruch des Vaters nicht genügen würde? So hatte sich der Sohn zunächst in die Bildhauerei geflüchtet, fand darin doch noch seinen Zugang zur Architektur und studierte schließlich beide Fächer. Modelle baute er wie Skulpturen, ebenso schließlich das Haus, die Stadt: archaisch, universell, direkt. Und er hatte Mut: sein erstes Projekt, den Raum eben jener kleinen Kapelle Madonna in den Trümmern (1947) formte er mit einer Gewebedecke, das Experiment glückte. Als das Zumthors Kolumbamuseum 2007 drohte, die kleine Kapelle zu schlucken, begehrte Böhm auf. Forderte zurecht, den eigenen Eingang beizubehalten. Bis heute ist die kleine, auf dem Trümmerfeld errichtete Kapelle, die so voller Ideen, voller Kraft und Spiritualität steckt, einer der schönsten Andachtssorte in Köln.

Mit seinen 101 Jahren lebte Gottfried Böhm als einer der letzten jener Generation, die das kriegszerstörte Deutschland wieder aufgebaut hat, ihm ein neues, modernes Gesicht gegeben hat. Böhm hat Räume zum Wohnen, und Arbeiten, Feiern und Beten gebaut, die sich von dem Gewohnten zwar radikal unterschieden, die Menschen aber in ihrem Innersten berührten, weil sie – so ist es bis heute – etwas Wesentliches transportieren. Ohne das Spätwerk abwerten zu wollen, waren seine stärksten Werke doch die, wo man ihn machen ließ. So wie das bei den Kirchen geschah, deren Räume, Hüllen und Materialität er mit St. Gertrud in Köln (1964) mit dem Mariendom in Neviges (1968) oder mit Christi Auferstehung in Köln-Lindenthal (1970) immer wieder neu erfand. Dass er all dieses, für das es kaum Referenzen außerhalb des eigenen Werkes, allein mit Zeichnungen und Modellen so kommunizieren konnte, dass man ihm vertraute, war eine besondere Gabe. Ausgerechnet die Kirche war es, die ihm das meiste Vertrauen entgegengebracht hat, mit ihm neue Wege gegangen ist. Aber auch für die Stadt und ihre Verwaltung fand er neue alte Bilder, griff mit dem Rathaus in Bensberg (1969) das Motiv der mittelalterlichen Burg auf, ähnlich archaisches in der neuen Stadt Chorweiler (1974), die bis heute gut funktioniert, während die Utopien anderer längst überschrieben und die Bauten aufgegeben wurden.

© Barbara Schlei
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Christi Auferstehung, Köln-Lindenthal
© Barbara Schlei
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St. Gertrud, Köln

Böhm ließ sich inspirieren, aber er folgte keiner Mode, seine Bauten waren und sind den gängigen -ismen nur schwer zuordnen. Was wir heute als Brutalismus feiern, war damals vor allem unfassbar. Dennoch war Gottfried Böhm der erste und lange auch der einzige Deutsche, der für seine Arbeit mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet wurde. Die Auszeichnung bekam er 1986 im Alter von 65 Jahren und sie gab ihm die lange schon fällige offizielle Bestätigung. Damals hatte er sein Lebenswerk bereits geschaffen, geruht hat er seitdem nicht, hat weiter gebaut, gelehrt, gezeichnet und sich eingemischt in die kleinen und großen Fragen des Planens und Bauens in dem Büro, in dem längst die Söhne ihre eigenen Chefs sind. Jeden Tag, sofern seine Gesundheit es zuließ, traf er gegen zehn in dem vom Vater gebauten Büro-Stammsitz in Marienburg ein. Nachdem die Arbeit an den ganz großen Stadtvisionen, an denen er unermüdlich gezeichnet hatte, abgeschlossen war, saß er mit einer Tasse Kaffee im Erker des Besprechungsraumes, von dem aus sich das Geschehen in Haus, Garten und Presse gut überblicken ließ.

Gottfried Böhm war 68 Jahre Mitglied des BDA Köln, zu seinem 100. Geburtstag erhielt er vom Bundesverband die Ehrenmitgliedschaft des BDA. Für Köln als Architekturstadt hat er durch sein kontinuierliches Schaffen, seine Präsenz einen erheblichen Beitrag geleistet. Lange Sitzungen entsprachen nicht seiner Art, aber er brachte sich ein, wenn es wichtig war. In der schwierigen Diskussion um die Umgestaltung der Domumgebung Anfang der 2000er tauchte plötzlich eine Skizze von ihm auf. Er hatte den Dom wieder auf den Hügel gesetzt. Mit dem Architekten Gottfried Böhm verlieren die vielen, die bei ihm studiert haben, die bei ihm, dem „Boss“, gearbeitet haben, die seine Bauten bereist, seine Werke begriffen haben, denen sein Mut Bestätigung und seine Fähigkeiten Ansporn gewesen sind, auch einen ganz wichtigen Menschen. Unsere besondere Anteilnahme gilt seiner Familie.

Uta Winterhager

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