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NACHBERICHT: LiebigQuartier – ein Modellprojekt für urbane Transformation?

22. März 2024

Elke Beccard
Elke Beccard

v.l. Isabella Venturini, Volt; Denise Abé, BÜNDINS 90 / DIE GRÜNEN; Niklas Kienitz, CDU; Jan Pehoviak, KLuG e.V.; Dr.-Ing. Katharina Simon, Urban Catalyst; Pauline Wieland, M.Sc. Städtebau NRW; David J. Becher, Vorstand Utopiastadt Wuppertal; Andrea Bachmann, Vorstand BDA Köln

Kölns letzte innerstädtische Entwicklungsfläche liegt etwa zwei Kilometer entfernt vom Dom zwischen Bahntrassen und der Autobahnstrecke A57, vom Schlachthofgelände aus nach Norden. Die querverlaufende Liebigstraße ist der Namensgeber für das etwa 130 Hektar große Areal – größtenteils in privater Hand befindlich.

Die Stadt Köln hat nach einem Ratsbeschluss 2018 ein räumliches Entwicklungskonzept erstellt, dem ein Beteiligungsverfahren vorgeschaltet war. Die Stadt stellt dieses Konzept der Öffentlichkeit am 20. März 2024 vor, zwei Tage nach dem BDA Montagsgespräch. „Anstatt die Entwicklung in einer klassischen Planungsmethodik weiterzuführen“, sagt Andrea Bachmann vom Vorstand BDA Köln in ihrer Einführung, „möchten wir den Anstoß geben, in diesem zentralen Quartier neue Formen alternativer und kooperativer Stadtplanung einzusetzen.“

KLuG e.V.
KLuG e.V.

Einer, der das schon macht, ist Jan Pehoviak. Er ist Geschäftsführer des KLuG – Köln leben und gestalten e.V., der sich seit Jahren im Quartier engagiert und unter anderem das Wandelwerk vor einigen Jahren im ehemaligen Autohaus an der Liebigstraße zur temporären Nutzung realisiert hat. „Mit dem Entwicklungskonzept wurde in einem ersten Schritt angeschaut, wie sich das Quartier räumlich abbilden soll, nicht aber, was auf den Flächen passieren und wie die Entwicklung weitergehen soll,“ erläutert er in seinem Impulsvortrag.

Wie kann das Gewerbe der Zukunft gestaltet sein? Wie kann aus einem innenstadtnahen Gebiet die Versorgung für ein klimaneutrales Köln aussehen? Zu diesen Fragen bietet sich KLuG e.V. als zivilgesellschaftlicher Partner an, um Szenarien zu entwickeln und umzusetzen, die dem Ort gerecht werden und Räume schaffen für das Kreativpotential aus Nippes, Ehrenfeld und anderswo.

KLuG e.V.
KLuG e.V.

Der lange Pfad der Transformation

Dr.-Ing. Katharina Simon forscht und lehrt zu gemeinwohlorientierter und kooperativer Stadtentwicklung in Wuppertal und ist im Planungsteam der Urban Catalyst GmbH, die sich schon seit Jahrzehnten mit dem Thema beschäftigt. Urbane Veränderungsprozesse durchlaufen einen „Transformationspfad“, den Simon anhand des Projektes Schützenmatt in Bern darstellt. Es brauchte zwölf Jahre und einen langen Atem, um Widerstände zu überwinden und den inner-städtischen Parkplatz zu einem Ort für Klimaanpassung und vielfältige urbane Nutzungen umzugestalten.

Begrenzte Ressourcen, so Dr.-Ing. Simon, erfordern es, die strikten Grenzen von Markt, Staat und Bürgergesellschaft aufzubrechen und alle in einer „Arena der Teilhabe“ zu versammeln, in der Stadt verhandelt wird. Und das ist nicht nur für die Stadt gut, sondern auch für jeden Einzelnen: “Die beteiligten Akteure entdecken neue Talente an sich, die den Prozess der kooperativen Stadtgestaltung unterstützen und voranbringen.“

Zitat Dr.-Ing. Katharina Simon
Zitat Dr.-Ing. Katharina Simon

Konsensverfahren mit dem Investor

David J. Becher stellt die Utopiastadt Wuppertal vor, die an Gemeinwohl und Koproduktion ausgerichtet sein soll und die er als andauernden Gesellschafts-kongress definiert: „Wir versuchen, alle Anliegen urbaner Gesellschaft miteinander in den Austausch zu bringen.“ In acht Jahren ist die Initiative von 200 qm Coworking-space auf 60.000 qm Stadtentwicklungsfläche gewachsen – alles ohne Investitionsgeld. Die Keimzelle des Ganzen war der Mirker Bahnhof, umgeben von mindergenutzten ehemaligen Bahnflächen der Aurelis Real Estate GmbH & Co KG. Diese wiederum gehört größtenteils einem auf den Kaimaninseln ansässigen Immobilienfonds. „Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, ehemalige Gemeinbedarfsflächen wieder dem Gemeinwohl zurück zu organisieren,“ sagt Becher.

Nach den ersten, nicht zielführenden Runden mit möglichen Investoren trat der „Utopiastadt Campus Flächenentwicklungsbeirat“ zusammen: „Wir haben es wirklich geschafft, ein renditegetriebenes Unternehmen, das hier Flächen verkaufen will, eine Initiative, die sich mit Commons und Allmende beschäftigt und eine Stadtverwaltung an einen Tisch zu bringen.“ Der Beirat erarbeitete im Konsensverfahren ein Rahmenkonzept, dass die Entwicklung der Flächen steuert.

Utopiastadt Wuppertal
Utopiastadt Wuppertal

Veedel-Gemeinwohlindex

Pauline Wieland hat im Rahmen ihrer Masterarbeit Handlungsstrategien für eine gemeinwohlorientierte Entwicklung des Liebigquartiers untersucht. „Das Quartier hat das Potenzial, ein Modellquartier für kooperative Stadtentwicklung zu werden und etwas Neues zu testen.“ Aus vier Best-Practice-Beispielen hat Wieland mögliche Strategien der Kooperation abgeleitet. Für das Liebigquartier empfiehlt sie ein Szenarium, das auf dem Beispiel des Hansaforums in Münster beruht.

Stadt Köln und KLuG e.V. sollen, so schlägt sie vor, das Liebig Forum gründen, das zusammen mit allen Akteursgruppen einen Veedel-Gemeinwohlindex erstellt. Die Selbstgestaltungskräfte der Zivilgesellschaft nutzend, könnte man kleinere Projekte anstoßen, um etwa den öffentlichen Raum aufzuwerten, Brachflächen zu beleben und Leerstände zu bespielen. Genau wie auch die größeren Entwicklungsprojekte müssen sie sich am Gemeinwohlindex messen lassen.

Pauline Wieland, M.Sc. Städtebau NRW
Pauline Wieland, M.Sc. Städtebau NRW

Potenzial ausschöpfen – aber wie?

Alle drei Fraktionen des Gestaltungsbündnisses sind bei der anschließenden Podiumsdiskussion vertreten: Denise Abé von BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN, Isabella Venturini von Volt und für die CDU Niklas Kienitz. Die Verwaltung hat mit dem Verweis auf die bevorstehende Präsentation des räumlichen Entwicklungskonzeptes keine Vertretung geschickt.Unisono ist die eindeutige Willensbekundung aus der Politik, zivilgesellschaftliches Engagement zu unterstützen. Das Ziel des städtischen Entwicklungskonzeptes sei mit den Eckdaten der Stadtstrategie „Kölner Perspektiven 2030+“ definiert, die kompakte, gemischte Quartiere mit kurzen Wegen und sorgsamer Behandlung von Flächen vorsieht.

Doch die Aktiven vor Ort beklagen, dass der eigentlich positiv zu sehende politische Auftrag, das Quartier zu untersuchen, nicht auf breiter, kooperativer Ebene umgesetzt wurde und die Verwaltung ihre Aufgabe nun offenbar mit der Herstellung von Planungsrecht für erledigt ansieht. „Sämtliche Kooperationsansätze mit der Stadt, auch der Versuch, gemeinsam Förderanträge zu stellen, sind bisher gescheitert,“ stellt Jan Pehoviak fest.

Auch Pauline Wieland nimmt wahr, dass der Prozess kaum in das Quartier hineingewirkt hat. Bei den Veranstaltungen seien der Verein und ansässige Unternehmen vertreten gewesen, nicht aber eine breitere Bürgerschaft. Auch auf Stadtebene ist das Thema Liebigquartier noch nicht präsent. Wieland plädiert dafür, schon jetzt inhaltlich das Zielbild für das Quartier zu schärfen und sehr bald zu entscheiden, wie das Verfahren weiterlaufen soll, denn allein mit dem Entwicklungskonzept habe die Verwaltung noch keine Handlungsgrundlage.

Bauvoranträge für einige der Grundstücke existieren bereits, und die Gefahr städtebaulichen Wildwuchses besteht. In zentraler Lage, auf der Fläche des ehemaligen Autohauses Levy, baut ein Investor unter dem Titel „Ehre & Liebig“ hochpreisiges Wohneigentum nach Paragraph 34 des Baugesetzbuchs – auf einer Fläche, die zu 50 % der Stadt Köln gehörte.

Pauline Wieland, M.Sc. Städtebau NRW
Pauline Wieland, M.Sc. Städtebau NRW

Mehrere Wortbeiträge, auch aus dem Publikum, thematisieren, dass sich der politische Wille, zivilgesellschaftliches Engagement zu fördern und zu nutzen – auch mit wirtschaftlicher Zielsetzung, um etwa Fördergelder zu akquirieren – in der Stadtverwaltung nur wenig durchsetzt. Beispiele dafür sind die Initiativen raum13 und die Hallen Kalk. Die Chance zu verschenken, aus dem Liebigquartier ein Modellprojekt für urbane Transformation zu machen, kann sich Köln aber nicht leisten. Denn, wie schon Jane Jacobs in ihrem berühmten Werk The Death and Life of Great American Cities von 1961 schreibt (und Dr.-Ing. Katharina Simon in ihrem Kurzvortrag zitierte): „Städte sind in der Lage, für alle etwas zu bieten, aber nur dann, wenn sie auch von allen gestaltet werden.“ Und je enger es wird in den Städten, desto wahrer der Satz.

Autorin: Ira Scheibe

Und hier der Link zum Nachhören der kompletten Veranstaltung:
https://www.youtube.com/watch?v=TLrjTIbTws8