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NACHBERICHT: Zukunft findet Stadt

13. Dezember 2022

© Nadine Preiß

Es waren gut 9 Stunden, die der BDA Köln am 28.10. 2022 mit einem intensiven Programm zur Zukunft der Stadt bespielt hat. Das Interesse war enorm, der Saal im Institut français mit 120 Gästen voll besetzt. Wer sucht in einer Zeit, die so sehr von Krisen geprägt ist wie unsere, nicht nach Antworten, Auswegen oder Affirmation?

Doch vor dem konkreten Stadtmachen steht die Stadtwerdung, so war die Vorsitzende der Deutschen Archäologischen Gesellschaft Prof. Friederike Fless (FU Berlin) eingeladen, die Perspektive der Archäologin auf die Stadt zu teilen. Ihr Rückblick auf die Geschichte seit der Sesshaftwerdeung des Menschen zeigte, dass die Stadt schon immer permanenten Formatierungsprozessen unterlag, dass Scheitern möglich war und sukzessive Transformation die einzige Konstante bildet. Mit ihrem Aufruf, den Wandel als systemimmanent zu begreifen hat Friederike Fless die Stadt als unsere gebaute Kulturgeschichte nicht entmystifiziert, sondern Mut gemacht, Neues zu wagen, weiterzumachen.

In den nachfolgenden drei Blöcken war jeweils eine Paarung aus Theorie und Praxis geladen, ihre Expertise erst in Form eines Vortrags, dann in einer von Renée Tribble und Bernd Kniess moderierten Podiumsdiskussion zu teilen.

Unter dem Titel Klimakrise – Potentiale im Desaster trafen in BLOCK 1 die Soziologin Anita Engels (Uni Hamburg) und der Wuppertaler OB Uwe Schneidewind aufeinander. Engels sieht Städte als Betroffene wie auch als Verursacher des Klimawandels, überlebensfähig seien sie trotz multipler Krisenszenarios nur durch ihre kapitalistisch getriebene, ausbeuterische Art. Der Anspruch an das Planungsniveau übersteige die Umsetzungskapazitäten (personell, finanziell, rechtlich). Reallabore als praktisches Forschungsinstrument machen Wandel erfahrbar. Schneidewind, offen desillusioniert von der Trägheit der urbanen Systeme, benannte vier Hebel für Veränderung: Technologie, Ökonomie, Politik und Kultur. Letztere könne als fehlerfreundliches Milieu das Experiment zulassen, nicht alles müsse über Politik gelöst werden. Die nachfolgende Diskussion zeigte, dass die Klimakrise lokales Handeln mit globalen Implikationen fordert. Um den Herausforderungen der Gesellschaft gerecht zu werden, um ins gemeinsame Riskieren zu kommen, müssen etablierte Politik- und Verwaltungsstrukturen überprüft und weiterentwickelt werden. Es gilt die repräsentative (Parteiendemokratie) zu stärken und mit ergänzenden Instrumenten auszustatten.

© Nadine Preiß
© Nadine Preiß
© Nadine Preiß

In BLOCK 2 betrachteten Dominik Piétron (HU Berlin) und Andreas Hofer (IBA 2027) die Stadt unter der Datenwolke. Piétron forscht an der politischen Ökonomie des digitalen Kapitalismus und forderte dazu auf, digitale und analoge Stadtentwicklung zusammendenken. Denn erst das Hybride erlaube es uns, das Kontrollierbare im Unkontrollierbaren suchen. Chancen sieht er für die kommunale Selbstverwaltung, um z. B. die Mobilitätswende zu unterstützen, warnte aber vor technologischer Abhängigkeit. Hofer sieht in der Stadt das Primat des Analogen über das Digitale. Er setzt auf die Kraft genossenschaftlich organisierter Projekte. Neue Formen des Zusammenlebens bringen neue Architekturen hervor, der Luxus des Gemeinschaftlichen werde mit einfachen Mitteln realisiert. Diskutiert wurde schließlich die Machtfrage im Digitalen. Resilienz kann durch regionale, kleinteilig organisierte (möglicherweise genossenschaftlich) Netze erzeugt werden. Andere Formen des Wohnens und Arbeitens einer emanzipierten, organisationsfähigen Zivilgesellschaft sind das Pendant des Digitalen. Hofers Aufforderung: Mehr Ressourcen in das Nicht-Normale investieren!

BLOCK 3 Ein neues Betriebssystem für das Raumschiff Erde eröffnete der Historiker und Philosoph Sébastien Marot (Paris). Er sieht die Stadt heute, wie sie gleichzeitig implodiert durch Dichte und explodiert durch Wachstum und dabei ihr Umland ausbeutet. Für seine Ausstellung „Taking the Country´s Side“ entwickelte und illustrierte er vier Stadt/Land-Narrative: Incorporation, Negotiation, Infiltration und Secession.
Frauke Burgdorf, Stadtbaurätin der Stadt Aachen, glaubt an die öffentliche Hand, will aber nicht unterscheidet zwischen „wir“ und „ihr“, alle tragen Verantwortung dafür, dass die Stadt gut funktioniert. Best-PracticeBeispiele aus Aachen (Büchel. Theaterplatz, Bushof) stützen diese These.
In der anschließenden Diskussion wurden Marots Szenarien mit dem Ist-Zustand und weiteren denkbaren Modellen verglichen, um zur Klimaneutralität zu gelangen und Ressourcen gerecht zu verteilen. Wohlstand werde in Zukunft ganz anders definiert werden, nicht in Materiellem, sondern darin, Demokratie zu leben, gebildet zu sein, wenig Energie in die Erde einzutragen. Zur Diskussion stehe, ob das Freiheitsentzug oder Freiheitsgewinn sei.

Ein Résumé zu ziehen ist nach einem Tag wie diesem fast unmöglich. Das Konzept der intellektuellen Paarungen verdeutlicht, wie schwer es ist, die großen Fragen von Mensch und Stadt in Bezug zur gelebten Realität zu setzen. Eine wesentliche Grundlage, um die gigantischen Herausforderungen unseres Gemeinwesen zu bewältigen ist die verfasste, gebildete und informierte Zivilgesellschaft. Weiterhin braucht es Interventionen, die alltägliche, konkreten Fragestellungen beantworten können, darüber hinaus aber auch radikales Denken und Handeln, das Gewohntes in Frage stellt und auf der Grundlage von demokratischer Legitimation durch neue Handlungsmuster ersetzt. Vielleicht erlauben wir uns jetzt schon mehr Ausnahmezustand – und wenn es nur wie im Reallabor ein Experiment ist.

Text: Uta Winterhager