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NACHBERICHT: Gemeinwohlorientierte Projektentwicklung

5. Mai 2022

 

Es ist ein Thema, das die Kölner Stadtgesellschaft tief bewegt. Gute, nachahmenswerte Projekte aus anderen Städten wurden vorgestellt, vor einem Publikum mit vielen engagierten Personen, deren eigenen Vorhaben in Köln seit Jahren und Jahrzehnten in der Luft hängen. Vertreter der Kölner Stadtverwaltung waren nicht anwesend und von der Politik nur die Vertreterin der Grünen. Wie der Abend, so die Lage, könnte man meinen.

Grundgesetz und Städtebau-Charta

„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“, so steht es im Grundgesetz, wie Antonio Molina, Vorstandsmitglied im BDA Köln, zum Auftakt des Abends in Erinnerung ruft. Gemeinwohlorientierung ist auch in der „Neuen Leipzig-Charta“ (2020) als Leitprinzip für Stadtentwicklung festgehalten, die Eva Schweitzer vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung vorstellt: „Sie hat keine Verbindlichkeit, doch ihre Wirkung ist nicht zu unterschätzen. So enthält sie die Aufforderung an die EU-Kommission, Städtebau-Förderprogramme aufzusetzen, und sie funktioniert wunderbar als Spiegelfläche und als Rechtfertigung in den Hierarchieketten.“

Schaubild: BMI/Dominque Breier
Schaubild: BMI/Dominque Breier

Freischwimmen in Krefeld

Leitprinzipien sind eine gute Sache, wie aber kommt man zum konkreten Tun? Antworten auf diese Frage sucht die startklar a+b GmbH. Sie ist Partner für Projekte der Zivilgesellschaft, Der Projektentwickler Joachim Boll sieht sich dabei nicht etwa als „Beteiligungsobjekt“, sondern als eigenständiger Akteur neben dem staatlichen bzw. kommunalem und dem privaten Sektor.

Am Beispiel des Stadtbadgeländes in Krefeld zeigt er, wie zivilgesellschaftliche Projekte funktionieren können. Am Anfang stand eine Initiative junger Leute und, so Boll, „der Mut zum Experiment auf städtischer Seite, nach 15 Jahren Leerstand dieser Gruppe vertraglich eine Nutzung zuzusichern.“ Mittlerweile hat sich daraus der Verein „freischwimmer“ gegründet. Er treibt als Motor die Entwicklung des Areals an, die sich innerhalb eines grob gesteckten Rahmens prozesshaft konkretisieren und auch kommunale Infrastruktur und private Investitionen beinhalten soll.

„Es ist eine völlig neue Organisationsform für das Projekt bei der Krefelder Verwaltung gefunden worden. Man hat sich auf einen Lenkungskreis verständig, in dem Verwaltung und Externe an einem Tisch sitzen. Das ist eine sehr ungewöhnliche Konstruktion für kommunales Handeln,“ so Boll.

Zinsen für das Gemeinwohl

Die Montag Stiftung Urbane Räume entwickelt Projekte auf der Basis des Initialkapital-Prinzips, welches die Vorständin Johanna Debik erläutert. Ist ein geeigneter Standort gefunden und ein Nutzungskonzept entstanden, gründet sich eine gemeinnützige Projektgesellschaft. Die Stiftung investiert Eigenkapital und zieht auch Fremdkapital und Fördermittel zur Finanzierung heran.

Die Grundidee ist, dass die Projekte nach einer gewissen Laufzeit ihrerseits Ertrag für den Stadtteil bringen. Für die Krefelder Seidenweberei wurde mit der Stadt ein Erbbaurechtsvertrag mit besonderen Konditionen geschlossen: Der Zins geht nicht an den Erbbaulasser, sondern direkt in den Stadtteil. Seit 2019 im „Vollbetrieb,“ erwirtschaftet das Projekt durch Mieten 34.000 Euro im Jahr für die gGmbH, die als Nachbarschaftsstiftung weiterhin vor Ort ist und Aktionen im Stadtteil finanziert.

Darauf verzichten, Millionär zu werden

Als 1989 die Firma Rotaprint in Berlin- Wedding Konkurs anmeldet, fällt das gesamte Areal wegen Bürgschaften an den Bezirk und wird mit seinen Gebäuden, die um 1900 und 1950 entstanden sind, unter Denkmalschutz gestellt. Seit 2000 ist das Gelände an eine Gruppe vermietet, doch bald droht im Berliner Bankenskandal der Verkauf an einen Investor. Die Mieterschaft gründet 2007 die ExRotaprint gGmbH und ist mit 2,5 Mio Euro Verkehrswert des Objektes konfrontiert.

Schaubild: BMI/Daniela Brahm
Schaubild: BMI/Daniela Brahm

Eine „Quelle“ legt offen, dass das Grundstück für einen isländischen Hedgefonds mit 600.000 Euro bepreist ist, für den es die Gruppe schließlich kauft. An dieser Stelle hört man heiteres Lachen im Publikum. Les Schliesser, Geschäftsführer ExRotaprint, führt aus: „Das ist kein Preis, der damals unüblich war. Dass unsere Mieterinitiative darauf verzichtet hat, Millionäre zu werden, ist die Grundlage für unsere Entwicklung.“

Um Profitstreben zu verhindern, so Schliesser, entsteht folgendes Konstrukt: „Wegen der denkmalgeschützten Gebäude konnten wir eine gGmbH gründen. Die Stadt wollte uns nicht direkt das Erbbaurecht übertragen. Wir haben es gemeinsam mit zwei Stiftungen verhandelt, mit der Stiftung trias und der Edith Maryon Stiftung aus der Schweiz, die wir in den Kaufvertag eingesetzt und mit denen wir ein 99-jähriges Erbbaurecht auf das Grundstück haben.“

ExRotaprint versteht sich nicht als Künstlerquartier: Die Flächen sind zu gleichen Teilen an Gewerbe, soziale Einrichtungen und an Kreative vermietet. „Wir müssen nicht die Höchstmiete nehmen, um das Projekt zu finanzieren. Unsere Durchschnittsmiete liegt bei 4,60 Euro netto kalt, und wir wählen die Mieter danach aus, wer der Umgebung am meisten dient,“ sagt Les Schliesser.

Am Anfang steht der Wille

Auf das Podium waren Vertreter aus Politik und Verwaltung geladen, doch nur Ulrike Kessing, Stellvertretende Fraktionsvorsitzende von BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN, stellte sich der Diskussion. Fragen und Beiträge aus dem Publikum drehten sich darum, Hebel zu finden, um in Köln mit den geplanten Projekten in die Realisierung zu kommen.

Joachim Boll attestiert der Stadt Köln „einen großen Nachholbedarf“ bei zivilgesellschaftlichen Projekten: „Wir können nur raten, nach Organisationsformen zu suchen, die jenseits der klassischen sektoralen und linearen Verwaltung angesiedelt sind. Es macht tiefen Sinn, projektorientiert zu arbeiten, zum Beispiel über eine Stadtentwicklungsgesellschaft wie beim Aachener Altstadtquartier Büchel.“

Bei Projekten der Montag Stiftung stellen oftmals die jeweiligen Kommunen Grundstücke und Immobilien zur Verfügung und kümmern sich um Städtebaufördermittel. „Viel wesentlicher aber“, so Johanna Debik, „ist die Bereitschaft, die wir auch in Kooperationsverträgen festhalten, an einer Struktur mitzuarbeiten und Zeit und Engagement zur Verfügung zu stellen.“

Wo andere Städte zum Beispiel für den Verzicht auf den Erbbauzins rechtliche Lösungen finden, dort findet die Kölner Verwaltung rechtliche Hindernisse. David Matthée, Vorstand der Stiftung trias – Gemeinnützige Stiftung für Boden, Ökologie und Wohnen, empfiehlt: „Ich plädiere für den Austausch. Es gibt ganz viel Wissen zu diesem Thema, und es ist ganz viel möglich. Am Anfang aber steht der Wille.“

Dem war eigentlich nichts mehr hinzuzufügen, doch Johanna Debik gab den Anwesenden noch einen Wunsch mit auf dem Weg: „Ich wünsche Köln von Herzen, dass endlich eins dieser tollen Projekte umgesetzt wird.“

Autorin: Ira Scheibe

 

 

>>> zu diesem Thema machen wir auch auf folgende Veranstaltung aufmerksam: https://initiative-ergreifen.de/wp-content/uploads/2022/04/Flyer_Kongress_Initiative_ergreifen.pdf Veranstalter sind startklar a+b und das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen