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NACHBERICHT: 100% RESSOURCE HAUS – Strategien für Zirkuläres Bauen

31. Januar 2022

Elke Beccard
Elke Beccard
v.l.: Prof. Michaela Lambertz, TH Köln u. Klimarat Stadt Köln; Petra Rinnenburger, Gebäudewirtschaft Stadt Köln; Annabelle von Reutern, concular Berlin; Klaus Dosch, Faktor X Agentur, Düren; Margit Sichrovsky, LXSY Berlin; Andrea Bachmann und Thomas Knüvener, beide Vorstand BDA Köln

„Ohne Bauwende keine Klimawende“ – so bringt es eine der Referent*innen, Annabelle von Reutern, am Ende des Abends auf den Punkt: „60 % des globalen Mülls und 40 % des CO2-Ausstoßes gehen auf die Kappe der Baubranche.“ Die Bemühungen um eine effiziente Energienutzung sind schon weit gediehen; doch für Zirkuläres Bauen, bei dem es darum geht, Ressourcen einzusparen, indem man sie wiederverwendet, finden sich bisher wenig Ansätze. Viel virtuellen Baustellenstaub gab es beim letzten BDA Montagsgespräch im Kölner Domforum und vor allem Denkanstöße, was das Bauen mit Vorhandenem für die eigene Arbeit bedeuten könnte.

Strategie: Ehrliches Messen

Wie lässt es sich möglichst ehrlich und objektiv vergleichen, welche Gebäude sparsamer sind im Verbrauch von Ressourcen gegenüber anderen? „Alles dreht sich um das Messen,“ sagt Klaus Dosch, Inhaber von Faktor X Agentur in Düren. Sein Unternehmen entwickelt Konzepte, um die Ressourceneffizienz eines Gebäudes um den Faktor X zu erhöhen. Es zählt die Bilanz und nicht die schönen Bilder von begrünten Fassaden wie beim Green City Tower in Freiburg: „Das ist mit Sicherheit nicht das, was uns auch nur einen Schritt weiterbringt,“ sagt Dosch. Es braucht ein Zertifizierungsmodell, das einfach, ehrlich und aussagekräftig ist.

Klaus Dosch
Klaus Dosch
Green City Tower in Freiburg

Drei Indikatoren sind entscheidend: der Ausstoß an Treibhausgasen und der Verbrauch nicht-erneuerbarer Primärenergie und von nicht-nachwachsenden Rohstoffen. Die Faktor X Agentur klassifiziert Gebäude mit drei Testaten zu Klima, Energie und Material mit „Noten“ von A bis G. Im Hinblick auf das Material lässt sich das Ergebnis durch innovative Konstruktionen, erneuerbare Rohstoffe oder wiederverwendete Stoffe verbessern.

Strategie: Angebot schaffen und digitalisieren

Und für die gibt es „Europas größten Marktplatz für wiedergewonnene Baustoffe“: das Startup Concular, das Annabelle von Reutern vorstellt. Ihre Empörung über den Zustand der Dinge – „nur 1 % aller Materialien weltweit werden wiedergenutzt“ – ist spürbar, und noch mehr ihr Tatendrang. Mit ihrem Team geht sie in Abrißgebäuden auf die Suche nach brauchbaren Baustoffen, die dann digital mit entsprechenden Bedarfen abgeglichen werden: „Die Bestandsaufnahme ist mühsam, denn Produktblätter, Grundrisse etc. sind meist nicht vorhanden.“

© Concular UG
© Concular UG
Karstadt am Berliner Hermannplatz: Der Umbau am rückwärtigen Teil nutzt wiedergewonnene Baustoffe

Wichtig, so von Reutern, ist der Unterscheid zwischen Wieder- und Weiterverwenden: Bleibt die Tür eine Tür? Recycling ist zwar in aller Munde, doch wenn ein Baustoff zu Füllmasse zermahlen wird, ist das wahrscheinlich nur die zweitbeste Lösung. Das Kö 21 oder der Behrensbau am Mannesmannufer in Düsseldorf sind Beispiele für Gebäude, die Concular „im Angebot“ hat. Im ehemaligen Karstadt am Hermannplatz in Berlin werden die ursprünglichen Baustoffe für den Umbau eingesetzt: „Form follows Verfügbarkeit“, so von Reutern.

Strategie: Bauen, mit dem was da ist

Die gebaute Umwelt als Materiallager zu sehen für zukünftige Architektur zu sehen, ist auch der Ansatz von Margit Sichrovsky von LXSY Architekten Berlin. Zirkuläres Bauen gestaltet sich anders als das lineare Bauen laut HOAI, wie die Referentin am Berliner Projekt CRCLR House im Impact Hub in der ehemaligen Kindl Brauerei darstellt. Bei Engpässen klappern die Architektinnen an Freitagnachmittagen schon mal sämtliche Berliner Schreinereien ab – es sind 55. Dass aber Design allein vom Angebot abhänge, will Sichrovsky so nicht stehenlassen: „Ich will mich als Architektin auch nicht allzu sehr geißeln.“ Entwurf und Detailing finden in enger Abstimmung mit den Handwerkern statt, „denen die Augen leuchten, weil ihre Kompetenz gefragt ist.“

LXSY Architekten Berlin
LXSY Architekten Berlin
Grafik: LXSY Architekten Berlin

Und die öffentliche Hand mit ihrer Vorreiterrolle, wie sieht sie das Thema? Petra Rinnenburger von der Gebäudewirtschaft der Stadt Köln, die an der Podiumsdiskussion teilnimmt, findet alle Ansätze zwar gut und richtig, aber nicht praktikabel für ihre Ziele: „Wir brauchen Masse, Masse, Masse. Wir müssen in möglichst kurzer Zeit zum Beispiel 22 Schulen bauen. Und der Markt braucht Zeit, sich auf genutzte Baustoffe einstellen zu können.“

Auch rechtlich gebe es Anpassungsbedarf: Betragen die Kosten eines Umbaus 80% verglichen mit denen eines Neubaus, kann ihn der Landesrechnungshof zurückweisen. Und noch einen Punkt führt Rinnenburger an: „Um Wiederverwendung auf breiter Basis möglich zu machen, müssen viel mehr standardisierte Modul- oder Systembaulösungen her, die teilweise die Entwurfsfreiheit einschränken.“ Mindestens eins der nächsten anstehenden Bauvorhaben könnte der Politik für die zirkuläre Bauweise vorgeschlagen werden.

Auch Fragen von der Gewährleistung über die Logistik bis hin zur Lehre an den Hochschulen werden angesprochen. Viele Rädchen müssen in Gang gesetzt werden, oder wie es die Podiumsteilnehmerin Michaela Lambertz ausdrückt, Professorin an der TH Köln und Mitglied im Klimarat Köln: „Zirkularität muss in Zukunft in alle Disziplinen.“ Und ganz unabhängig von allem praktischen Fragen – Zirkularität im Bauen wird eine neue Ästhetik hervorbringen, und unser Wahrnehmen und Wertschätzen von Gebäuden wird sich wandeln. An Mut dazu, so hieß es am Schluss, scheint es unter den Anwesenden nicht zu fehlen.

Ira Scheibe

 

Und hier der Link zum Nachhören: https://www.youtube.com/watch?v=XB3r5jPckJM