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2. Dezember 2020

Das 2. Kamingespräch der Vortragsreihe »Einfach nur bauen oder Architektur wagen?«, die der BDA Landesverband NRW in diesem Herbst mit den regionalen Gruppen geplant hat, fand am 23. November 2020 statt. Gastgeber der digitalen Veranstaltung war der BDA Dortmund Hamm Unna, dessen Vorsitzender Marcus Patrias natürlich lieber ins Baukunstarchiv eingeladen hätte. Doch in diesem Herbst begegnet man sich nur im Netz und so saß er selbst in seinem Büro, der BDA Landesratsvorsitzende in Köln, Moderator David Kasparek in Bonn und der Gast Dietmar Eberle an seinem Schreibtisch in Lustenau. Den kleinen Ort im architektonisch Aufsehen erregenden Vorarlberg (Österreich) würde man in Deutschland kaum kennen, wäre es nicht der Stammsitz des 1985 von Dietmar Eberle mit gegründeten Büros baumschlager eberle. Über die Jahrzehnte ist das Büro gewachsen, und mit ihm und um ihn herum die zweite Generation der Vorarlberger Baukünstler, auf die wir, so Gert Lorber, aus Deutschland manchmal etwas neiderfüllt schauen.

Dass Eberle bei der Architektur blieb, war Anfang der 1970er Jahre gar nicht so sicher. Denn der „zornige junge Mann“ aus dem kleinen Bergdorf hatte sich an der TU Wien zunächst auch für Soziologie und Philosophie eingeschrieben. Denn er wollte die Welt verändern. Den Beruf des Architekten kannte er nicht, in seinem Umfeld hatten „die Leute halt einfach so gebaut“. Doch schon immer faszinierten ihn Baustellen, Dinge, die entstehen und so blieb schließlich bei der Architektur. Doch deren akademisches Verständnis hat sich bei ihm, der heute selbst in der Lehre tätig ist, nur sehr langsam entwickelt. Lieber arbeitete er auf Baustellen, betrachtete sich, auch als er schon ein eigenes Büro leitete, noch lange als Handwerker.

Minimalster Einsatz, höchste ästhetische Wirkung

Stream des BDA Kamingespräches 200 100 50 20 10 mit Dietmar Eberle am 23. November 2020.
Mitte: Projektpräsentation (Stenna Zentrum Flims, baumschlager eberle architekten. Rechts: (v.o.) Gert Lorber, Dietmar Eberle, Marcus Patrias und David Kasparek

 

Doch wann werde das Bauen zur Architektur wollte David Kasparek mit Bezug auf den Titel der Reihe wissen, und Eberle führte direkt eine Reihe von Kriterien für sein Schaffen auf. Architektur sei immer öffentlich, liefere so einen Beitrag zum Ort, schaffe Perspektiven für die Zukunft. Viel zu lange, von den 1960ern bis in die 90er haben ästhetische Kriterien und Funktionen mit kurzfristigen Anforderungen die Architektur bestimmt. Doch heute könnten wir sehen wir, dass die Ergebnisse davon nicht überzeugend seien. Während Eberle spricht, läuft eine Slideshow beeindruckender Bauten aus dem Portfolio von baumschlager eberle in Endlosschleife über den Bildschirm. Beeindruckt von der großen Stärke in der Gestaltung, die Eberles Aussage eigentlich widerspricht, fragte Gerd Lorber nach, ob denn die Gestaltung so nebenbei passiere. Nein, stellte Eberle klar, Gestaltung sei das primäre Ziel, über die Gestaltung leiste die Architektur ihren Beitrag zum Ort und zur Gesellschaft. Geprägt von der Bescheidenheit des armen Vorarlbergs, habe ihn in der Malerei des 20. Jahrhunderts habe ihn immer die Abstraktion fasziniert, minimalster Einsatz und Aufwand, höchste ästhetische Wirkung. Diesen zeitgemäßen Anspruch möchte er mit jedem Projekt erfüllen. Mit 270 Mitarbeitern sei das nur mit viel Vertrauen zu schaffen, mit einem Team das über Jahrzehnte gemeinsame Haltungen und Wertvorstellungen entwickeln konnte. Die ästhetische Formulierung unterliege allerdings dem lokalen und kulturellen Kontext. Um den zu verstehenden, sei es wichtig, immer vor Ort zu arbeiten.

Stenna Zentrum Flims Foto ©René Dürr ©Baumschlager Eberle Architekten

Solides Bauen mit Software

Eine weitere Kernforderung seines Büros sei es Wohnbau ökonomischer zu machen, denn wenn das Wohnen, die größte Investition jeder Einzelperson, billiger werde, gäben die damit gesenkten Lebenshaltungskosten den Menschen ganz andere Möglichkeiten zur Entscheidung. Die Architektur für den Sonntag, Kirchen, Museen, Stadien, sei in der öffentlichen Wahrnehmung ganz stark, die Architektur für den Werktag, in der man wohnt, lernt, arbeitet, jedoch kaum wahrgenommen werde. Er bezeichnete sich als klassischen Werktagsarchitekten, das eigene Büro im Milleniumspark Lustenau als ein Wochentagsgebäude, ein Prototyp mit dem Namen 2226. Während in den letzten Jahrzehnten zu beobachten war, dass die Energiekosten sanken, die Unterhaltskosten jedoch stiegen, beschäftigte sich Eberle mit Kollegen, Physikern und Haustechniken, die den technischen Wahnsinn ebe

nso kritisch sahen, intensiv damit, ein alternatives physikalisches Verständnis von Gebäuden zu entwickeln. Das Ergebnis ist eine Kombination aus einfachem, solidem Bauen und Software als Planungswerkzeug. 2226 ist dank exakter Berechnung nun ein Haus mit einer konstanten Temperatur zwischen 22 und 26 Grad. Als Wärmequellen dienen die Nutzer selbst – jeder Mensch hat eine Wärmeabstrahlung von durchschnittlich 80 Watt – sowie die Beleuchtung, Rechner, Kopierer und selbst Kaffeemaschinen. Überall in Europa gebe es das gleiche Problem, fuhr er fast schon emotional fort, ähnlich sinnlose Normen, und forderte ein anderes Verständnis von Gebäuden. Low-Tech und intelligente Bauphysik anstelle eines hohen Technikaufwands – dieser Prämisse folgt das Gebaute von baumschlager eberle.

Beton mit Verstand?

David Kaspareks Frage nach dem Beton (auch mit Blick auf die Slideshow), den wir uns 2020 aus ökologischen Gründen nicht mehr leisten könnten, wurde das Gespräch noch deutlich hitziger. Denn neben alle den praktischen Vorzügen des Materials. die von den Gastgebern angeführt wurden, sei die Verwendung ja oft auch eine ästhetische Entscheidung. Eberle, der sich währenddessen noch eine Zigarette anzündete, konterte, dass die Verwendung des Betons als visuell-ästhetisches Element nur 1 Prozent ausmachten, während die anderen 99 Prozent mit Langlebigkeit und Erstellungskosten begründet werden. Und dies, obwohl alle doch wüssten, wie groß Energieaufwand und CO2-Ausstoß seien und uns früher oder später Sand und Kieselsteine ausgehen werden. Hoffnung machten ihm eher Forschungen, die versuchen, aus dem CO2 Kieselsteine herzustellen, als Bauten als Holz, das so lange zusammengeklebt werden, bis es zu Sondermüll werde. Auch wenn wir alle den Handlungsbedarf erkenne würden, werde es kurzfristig keine Antworten geben. An dieser Stelle griff der Moderator das Zitat von Luigi Snozzi auf „Bauen bedeutet Zerstören, zerstöre mit Verstand“, das Patrias anfangs in den Raum gestellt hatte und lenkte ein, dass es die eine Lösung nicht geben werde, dass wir an vielen Stellen agieren werden müssen.

2226 Emmenweid, Foto: © René Dürr © Baumschlager Eberle Architekten

Bauen nach Zahlen

Aufgelöst werden musste abschließend noch der Zahlencode der Überschrift: 200 100 50 20 10. Angedeutet war es bereits in der Einladung „Gebäude sind Überlagerungen von verschiedenen Zeiträumen. Diese Zeiträume sind bestimmt durch die Forderung zur Reduktion des Ressourcen- und Energieverbrauchs.” Diese Zahlen, so Eberle, seien nichts mehr als ein Zahlenkorsett für die Lebenszeiträume unserer architektonischen Entscheidungen und Materialisierungen. So stehen die 200 Jahre für die grundsätzlichen Entscheidungen, die im städtischen Maßstab fallen. 100 Jahre sei eine sinnvolle Anforderung an die Struktur des Gebäudes, das Tragwerk und alle vertikalen Erschließungen, die man nur mit viel Aufwand ändern kann. 50 Jahre sei die durchschnittliche Lebensdauer der von baumschlager eberle gewählten Fassaden. 20 Jahre sei die Gültigkeit des Programmes und der Funktion – als Generationenfrage nicht verantwortungsvoll, denn eine Fixierung auf das Programm sei das schlechteste was man tun könne, erzeuge sie doch die kürzeste Lebenserwartung mit dem größten ökologischen Fußabdruck. Und mit den 10 Jahren, die den Oberflächen gegeben werden, sei die Welt nicht zu retten. Die Zeit sei jedoch die Schlüsselfrage beim Fußabdruck, bei Qualität, bei Lebenszyklen. Wenn wir die Probleme unsere Zeit lösen wollten, müssten wir methodisch anders nachdenken. Doch nur mit dem Nachdenken über das Gebäude sei das Problem nicht zu lösen, Software sei notwendig. Und hier entschuldigte sich Eberle für seine für seine Emotionalität, schob aber doch noch einmal nach, wie sehr es ihn ärgere, dass an Hochschulen die Aufgaben mit dem Raumprogrammen beginnen würden – das dürfe so nicht sein. Kein Grund sich zu entschuldigen, lenkte David Kasaprek ein, das zeige doch eher, dass sich die Energie des zornigen jungen Mannes aus den Bergen bis heute erhalten habe – offenbar ein guter Motor seines Schaffens.

Uta Winterhager