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MEMORANDUM

4. Juni 2020

Das Memorandum möchte besondere Aufmerksamkeit auf die Situation der mittelständischen Architekturbüros lenken. Diese leisten einerseits einen relevanten Beitrag zu dem baukulturellen Reichtum unserer Städte und bilden andererseits einen wichtigen Faktor im städtischen Wirtschaftsleben, welches sich immer stärker über Dienstleistungen und die Kreativwirtschaft definiert. Daher wird es für angemessen gehalten, über die Form der Vergabe von Planungsleistungen einen großen Anteil der Wertschöpfungskette in den Regionen anzusiedeln. Dies wird mit dem aktuellen Trend Schul- und andere Projekte an General- und Totalübernehmer zu vergeben nicht erreicht. Es ist weder wirtschaftlich sinnvoll noch im Sinne der Förderung einer städtischen Identität, geprägt durch qualitätvolle öffentliche Bauten, auf diesem Weg weiter zu gehen.

Das Memorandum fordert die Zweckbindung von Zuwendungen des Bundes und der Vereinfachung des EU-Vergaberechtes.

BDA Köln
BDA Köln

Regionale Architektur Vielfalt in Deutschland vor dem Aus  

Zukunft der Klein- und Mittelständischen Architekturbüros in Deutschland akut bedroht  

Es ist zu unterstellen, dass der wirtschaftliche Druck auf kleine und mittlere Architekturbüros (3 – 12 Mitarbeiter) im Verlauf der zweiten Jahreshälfte extrem zunehmen wird, da aufgrund der absehbaren Rezession einerseits Aufträge wegbrechen werden und es andererseits derzeit kaum noch möglich ist Aufträge zu aquirieren (direkt oder durch VgV-Verfahren, Wettbewerbe etc).

EuGH -Urteil zur Gültigkeit der HOAI verstärkt wirtschaftliche Probleme durch Corona

Dieser Druck wird durch das jüngste EuGH-Urteil zur Gültigkeit der HOAI verstärkt, das im Ergebnis die Honorarordnung für Architekten als nationales, verbindliches Preisrecht für unzulässig erklärt hat. In Verbindung mit der vermuteten Rezession wird das zu einem ruinösen Preiskampf führen, mit dem Ergebnis dass qualitätvolle Architektur nicht mehr zu auskömmlichen Preisen angeboten werden kann. Daraus folgt, mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Marktbereinigung zugunsten von Großbüros, da diese aufgrund ihrer Marktmacht andere Vertragskonditionen durchsetzen können und außerdem für längere Zeit in der Lage sind, eine Basisgeschäftstätigkeit aufrecht zu erhalten, die es ihnen erlaubt, das Büro im Bedarfsfall wieder hochzufahren. In kleinen Büros dagegen sind einmal verlorene Strukturen nicht mehr oder nur schwer wieder herstellbar, da Liquidität zur Vorfinanzierung von Wachstum und die Möglichkeit größere Projekte zu aquirieren, verloren gegangen ist. Mittelfristig ist daher damit zu rechnen, dass kleine Büros teilweise / in großer Anzahl vom Markt verschwinden. Diese bereits jetzt zu beobachtende Entwicklung wird sich also beschleunigen und verstärken.

HOAI durch eine EU-konforme Novellierung retten  

Die kleinteilig organisierte Architekturproduktion, verbunden mit den regionalen Bautypologien in Deutschland, ist Teil einer gewachsenen, regionalen Alltagskultur. Sie ist durchaus vergleichbar mit der Brotkultur, deren Würdigung als Weltkulturerbe derzeit diskutiert wird. Dieses Kulturgut und seine nicht zu unterschätzende wirtschaftliche Bedeutung für die einzelnen Regionen ist durch den fortschreitenden Konzentrations- und Internationalisierungsprozess gefährdet. Die fehlende Bereitschaft der Bundesregierung, die HOAI durch eine EU-konforme Novellierung als geltendes Preisrecht zu retten, bedeutet die bewusste Aufgabe (durch unterlassenes Handeln) der durch Klein- und Mittelständische Büros geprägten Architektenlandschaft. Dies ist derzeit offenbar politisch gewollt und sollte somit auch mit der nötigen Klarheit kommuniziert werden.

EU-Vergaberecht zu unpraktikabel

Diese unerfreuliche Situation wird weiter verschärft durch das geltende EU-Vergaberecht. Aufgrund des sehr niedrigen Schwellenwertes von 214.000 € brutto (als Summe der Honorare aller erforderlichen Planungsleistungen für ein Bauwerk), über dem die EU-weite Ausschreibung von Planungsleistungen vorgeschrieben ist, bedeutet, dass jeder umfangreichere Schultoilettenumbau europaweit auszuschreiben ist. Dieses EU-Vergaberecht ist als außerordentlich praxisfremd sowie als zeit-und kostenaufwändig für Auftraggeber und -nehmer mit weitestgehender Sinnfreiheit (bei Kleinaufträgen) zu hinterfragen.

Förderprogramm „regionale Baukultur“ notwendig  

Daher der Vorschlag, ein Förderprogramm „regionale Baukultur“ zu propagieren und aufzulegen, das die Stützung der regional tätigen, kleinen Architekturbüros zum Gegenstand hat. Die aktuelle Gesundheits- und die daraus folgende Wirtschaftskrise bietet eine nachvollziehbare Argumentationsgrundlage für die Forderung nach einer (zeitweiligen?) Aussetzung / Aufweichung der EU-Vergaberegeln, um unbürokratisch und zeitnah die überfälligen Schulneubauten und Sanierungen als regionales Konjunkturprogramm zu nutzen. Dies auf Grundlage von – bezogen auf den Aufwand – niederschwelligen, regional begrenzten Qualifizierungsverfahren, beispielsweise in Form von jurierten Mehrfachbeauftragungen. Selbstverständlich sind in diesen Verfahren die Aspekte des nachhaltigen Bauens und des Klimaschutzes ebenfalls zu berücksichtigen.

Selbstverpflichtung der Kommunen zu auskömmlicher Honorierung

Ein weiterer, wichtiger Aspekt eines solchen Programms wäre die Selbstverpflichtung der Kommunen, Honorarangebote unter den Mindestsätzen der HOAI als unauskömmlich auszuschließen.

Gebaute Identität der Region

Als denkbares Vorbild für den Erfolg einer derartigen Strategie ist die baukulturelle Situation in Vorarlberg oder auch in Belgien zu nennen, wo der sehr spezifische Umgang mit der Transformation regionaler Traditionen in die Moderne die gebaute Identität sehr positiv prägt.

Städtetag als Verbündeter  

Mit der Hilfe und Unterstützung des Städtetages sollte ein derartiges Förderprogramm bundesweit eingefordert werden um als kurzfristige Maßnahme mit Mitteln des Bundes (im Rahmen des Corona Rettungsschirms für Kommunen) umgesetzt zu werden. Eine gute Möglichkeit, trotz der sich abzeichnenden Finanznöte der Kommunen die dringend erforderlichen Schulsanierungen und -neubauten anzugehen. Ein weiteres Ziel ist, mit den gezielt und zweckgebunden eingesetzten Steuermitteln den öffentlichen Reichtum zu mehren, dies sowohl im materiellen wie auch im Sinne einer qualitätvollen gebauten Umwelt.

Stabilisierung sinnvoller Strukturen / Novellierung Vergaberecht

Langfristig böte sich weiterhin die Chance, die Sinnhaftigkeit der außerordentlich zeit- und kostenaufwendigen EU-Vergaberegeln zu hinterfragen und denkbarerweise seitens der öffentlichen Auftraggeber einen Veränderungsdruck aufzubauen. Kurzfristig hätte dieses Konjunkturpaket eine Stabilisierung von sinnvollen Strukturen und die zügige Umsetzung der überfälligen Schulbaumaßnahmen zur Folge, also eine reale, lehrbuchhafte Win-Win-Situation.

Reinhard Angelis
Vorsitzender BDA Köln

Köln 20. Mai 2020